Balingen und die Revolution 1848/1849
Die Revolution von 1848 jährt sich in diesem Jahr zum 175. Mal. Das Stadtarchiv stellt die wichtigsten revolutionären Ereignisse, insbesondere die mit Bezug auf die Stadt Balingen, chronologisch von Februar 2023 bis September 2023 vor.
24. Februar 1848: Februarrevolution
Vor 175 Jahren herrschte in den Dörfern und Städten nach den Notjahren mit Missernten und unerschwinglichen Lebensmittelpreisen grenzenlose Armut. Um gegen die Armut und das Hungerleiden entgegen zu steuern, errichtete die Stadt Balingen eine Suppenanstalt, doch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nahm weiterhin zu. Hohe Steuern und Abgaben bedrückten die Menschen zusätzlich.
Am 24. Februar 1848 haben die Franzosen in einer dreitägigen Revolution König Louis Phillipe gestürzt und Frankreich zur Republik erklärt. Der Pariser Aufstand wurde zur Initialzündung für ein zweijähriges Ringen der Demokraten in Deutschland um bürgerliche Freiheitsrechte, parlamentarische Staatsorganisation und nationale Selbstbestimmung.
Als sich die Nachricht der sogenannten Februarrevolution verbreitete, herrschte Euphorie und Hoffnungen auf einen politischen Wandel wurden geweckt. Baden, Württemberg und die hohenzollerischen Fürstentümer gehörten von Beginn an zu den Zentren der deutschen Freiheitsbewegung. Im Gegensatz zu Baden charakterisierte sich die Revolution in Württemberg als ein gewaltarmes Ereignis, was jedoch nicht bedeutet, dass die Zeit ereignisarm war. Wie überall im Land keimten auch in Balingen immer wieder vereinzelte Unruhen auf, die von einer intensiven revolutionären Bewegung geprägt gewesen sind.
Märzforderungen
Bereits Ende Februar 1848 kam es vor allem im südwestlichen Raum in vielen Städten zu Volksversammlungen, wo Petitionen verfasst und durch zahlreiche Unterschriften unterstützt wurden. Diese Petitionen sind an den württembergischen König Wilhelm I. übermittelt worden, in der Hoffnung, dass die geforderten Wünsche vom König erhört werden. Die Petition der Ebinger Bürger wurde am 7. März 1848 im Alb-Boten abgedruckt.
Einige Tage danach entschied sich der Balinger Bürgerverein hierzu sich der Ebinger Resolution anzuschließen.
Märzforderungen
Pressefreiheit, eine allgemeine Volksbewaffnung, das Recht Volksversammlungen abzuhalten und die Abschaffung der Feudallaste waren nur einige der geforderten Wünsche, die das Volk erhoben haben. Bereits am 01. März 1848 wurde die Pressefreiheit eingeführt. Eine freie Berichterstattung ermöglichte die Politisierung der Bevölkerung.
In den Gasthöfen und Kaffeehäusern wurden Versammlungen abgehalten, indem die politischen Entwicklungen diskutiert wurden. So waren Flugblätter sowie Zeitungen, wie die „Sonne“ von Gottlieb Rau, wesentlicher Bestandteil der Diskussionen. Die Revolution mobilisierte die Menschen.
Im April folgte die Abschaffung der Feudallaste und am 7. April 1848 lässt der württembergische König Wilhelm I. verkünden, dass das Volk nun öffentliche Versammlungen abhalten dürfe.
24. März 1848: Das Phänomen des Franzosenlärms
Die plötzlich eingetretenen Entwicklungen, wo sich Ereignisse nahezu täglich überschlagen haben, verunsicherte die Bevölkerung. So sind Sie besonders für Gerüchte empfänglich gewesen. Als am 24. März 1848 erste Berichte aufkeimten, dass ein „Raubgesindel aus Frankreich“ das badische und württembergische Grenzgebiet eingenommen hätten und dort ihr Unwesen treiben, herrschte in den Oberamtsbezirken regelrechte Panik. Das Gerücht breitete sich wie ein Lauffeuer aus.
Auch das Oberamt Balingen habe sich angesichts der beunruhigenden Meldungen an das Innenministerium gewandt. Als Berichte von einem Einfall der Franzosen in Freudenstadt kursierten, entsandte das Oberamt Balingen vertrauliche Personen nach Freudenstadt damit sie die dortige Lage auskundschaften.
Ein Erlass des Innenministeriums vom 26. März 1848 verließ die Gerüchte als unwahr verlauten und gaben damit für die in Panik geratende Bevölkerung Entwarnung, dass derartige Ereignisse niemals stattgefunden hätten. Jedoch dauerte es mehrere Tage bis alle Oberämter davon in Kenntnis gesetzt worden sind.
Ein Handwerksgeselle aus Offenburg habe am Abend des 23. März 1848 glaubhaft das Gerücht gestreut, dass Plünderer aus dem Elsass in Lahr eingedrungen seien. Es waren sogar von 40.000 Franzosen die Rede.
Die Balinger Bürgerwehr ensteht
Das Phänomen des "Franzosenlärms" hatte das Volk dermaßen in Erregung gebracht, dass der Ruf nach Abwehrmaßnahmen immer lauter wurde.
Am 1. April ließ der König im Schnellverfahren das Gesetz zur Volksbewaffnung in Kraft treten. Die Stadt- und Gemeinderäte wurden am 14. April 1848 hierzu verpflichtet, so bald wie möglich eine Bürgerwehr einzurichten. Mit der Einführung der Bürgerwehr sollten die waffentüchtigen Männer einerseits für Ruhe und Ordnung sorgen und andererseits die noch zu erlassene Verfassung schützen. Jeder Bürger ist verpflichtet gewesen, sich an der Bürgerwehr zu beteiligen und sich regelmäßig zum Exerzieren einzufinden.
Am 28. Mai 1848 bestand die Balinger Bürgerwehr aus 350 Mann. Wie in jedem Oberamt, entwickelte sich die Finanzierung der Ausrüstung zu einem zentralen Problem, denn jeder Wehrpflichtige hatte die anfallenden Kosten selber zu tragen.
Aufruf zur Wahl eines Abgeordneten zur Nationalversammlung: Wilhelm Heinrich Murschel
Das Oberamt Balingen hat mit einem Teil der Oberämter Rottweil, Sulz und Spaichingen einen Abgeordneten und einen Stellvertreter für die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt zu wählen. In einer Versammlung in Rottweil, woran viele Wähler aus dem Oberamtsbezirk Balingen teilgenommen haben, wurden Dr. Wilhelm Heinrich Murschel und Dr. Beck als würdige Kandidaten vorgeschlagen. Als Stellvertreter sind Dr. Stockmayer und Rechtsanwalt Johann Friedrich Nagel, der in Balingen aufgewachsen und nach seinem Studium der Rechtswissensschaften in Balingen Anwalt wurde, vorgeschlagen worden.
Am 30. April 1848 wird im Albboten bekannt gegeben, dass Dr. Wilhelm Heinrich Murschel aus Stuttgart mit 5392 Stimmen zum Abgeordneten und Rechtsanwalt Johann Friedrich Nagel mit 2550 Stimmen als Stellvertreter gewählt worden sind.
Kommunaltumulte: Der "Druck von unten"
Parallel zur bürgerlichen Reformbewegung gab es auch bäuerliche Unruhen gegen die städtische Oberschicht. Der Zorn wandte sich hierbei gegen die Schultheißen und Gemeinderäte. Da in den sogenannten Märzforderungen auch die Abschaffung des lebenslangen Gemeinderatmandats gefordert worden sind, konnten zahlreiche Stadtschultheißen dem Druck von unten nicht lange standhalten. So war auch der damalige Balinger Stadtschultheiß Johannes Zürn (Amtszeit von 1819 bis 1848) dem Druck des neu gewählten Gemeinderats ausgesetzt, der ihn zu einem Rücktritt zwang. Am 02. Mai 1848 ließ er verkünden sein Amt niederzulegen.
Mai-Exzesse
Wie aufgeheizt die Gemüter in der Oberamtsstadt Balingen gewesen sind, zeigt sich im Fall Wilhelm Wahrenberger. Der erst kürzlich von Lahr zurückgekehrte Messerschmiedgeselle behauptete, dass in Freiburg geplant sei eine Republik auszurufen. Das Oberamtsgericht Balingen hatte ihn am fünften Mai 1848 wegen Verdachts der Beteiligung bei den hochverräterischen Unternehmungen im Oberrheinkreis auf offener Straße verhaften lassen. 300 übermütige Balinger versammelten sich lautstark vor dem Oberamtsgerichtsgebäude und riefen: „Heraus muss er – oder man holt ihn! Wir rücken Blut und Leben dran!“. Da der Oberamtsrichter eine Stürmung befürchtete, wurde Wilhelm Wahrenberger gegen Kaution freigelassen. Danach zog die Menge mit dem freigelassenen Wahrenberger durch die Straßen der Stadt und sangen voller Inbrunst das Lied des Räuberchors aus Friedrich Schillers „Räuber“. In der nächsten Nacht standen vor den Häusern des Polizeibeamten, des Oberamtsrichters und dem Gerichtsdiener sogenannte Katzenmusiker.
Zwar wurde Wahrenberger freigelassen, doch für den Kaufmann Jakob Jetter, dem Sonnenwirt Johannes Sting sowie dem Bierbrauer Johannes Bek zog Ihr Verhalten eine Verurteilung nach sich. Am 06. Mai 1848 wird den drei betroffenen der Prozess wegen Aufruhr gemacht, da sie das Wort geführt hätten. Besonders Jakob Jetter wurde wegen seiner Zurufe: „Wer Courage hat, trete vor, wir wollen den Wahrenberger mit Gewalt befreien“ hart bestraft. Er erhielt dafür eine vier monatige Kreisgefängnisstrafe, die er auf der Festung Asperg abzusitzen hatte. Auch Johannes Sting wurde zu dreieinhalb Monate Haft und Johannes Bek wegen ungebührlicher Äußerung vor der Obrigkeit zu vier Tagen Bezirksgefängnis verurteilt. Als politische Häftlinge sind Sie auf die Festung Hohenasperg überführt worden.
Gottlieb Raus Revolutionszug
Am 21. September 1848 proklamierte der badische Republikaner Gustav Struve in Lörrach die deutsche Republik. Drei Tage später, am 24. September 1848, proklamierte Gottlieb Rau in Rottweil vor 4000 bis 5000 Bürger die Volkssouveränität. Unter Hinweis auf Struves Unternehmen forderte Gottlieb Rau spontan zum bewaffneten Revolutionszug des ganzen Landes nach Stuttgart auf. Die Bürger waren im Glauben, dass es sich um einen Aufstandsversuch mit gemeinsamen Plan zur Republikanisierung Südwestdeutschlands handelte. Der Zug sollte am 27. September am Eröffnungstag des Cannstatter Volksfestes und zugleich am Geburtstag des württembergischen Königs Wilhelm Friedrich Karl in Stuttgart antreffen.
Gottlieb Rau zog mit ungefähr 900 Männer aus Rottweil und Umgebung Richtung Balingen. Die Balinger Bürger sind durch Besucher der Rottweiler Volksversammlung bereits über Raus Vorhaben informiert gewesen. Die Balinger standen Raus Unternehmen nicht abgeneigt gegenüber, jedoch musste vorausgesetzt sein, dass die Bewegung allgemein war und sich nicht nur auf Rottweil beschränke. Am 26. September 1848 wurde an jenem Tag in Balingen der Jahrmarkt abgehalten und Gottlieb Rau hielt vor der tobenden Menschenmenge eine reißende und radikale Rede, worin er zum Anschluss an seinen Revolutionszug aufrief.
Die vorerst zugeneigte Stimmung wurde von der Nachricht des gescheiterten badischen Freischarenzug Struves erheblich abgedämpft. Zusätzlich teilten Rückkehrer aus Stuttgart mit, dass die Stimmung in Württemberg vollkommen ruhig sei. Der geplante Abmarsch nach Cannstatt sollte um 8 Uhr morgens erfolgen, doch niemand von der Balinger Bürgerwehr erschien am vereinbarten Sammelplatz. Raus Aufruf war gescheitert und die Rottweiler Bürgerwehr traten den Rückmarsch nach Rottweil an.
In den Tagesbegebenheiten des Albboten verkündet Rottweil am 27. September, dass „die von Rau und Genossen verführten Mannschaften“ in die Stadt zurückgekehrt seien. Es wird als Glück beschrieben, dass sich bereits in Balingen „klar herausstellte, daß alles […] großes Lügenwerk und unverantwortliches Spiel mit der Leichtgläubigkeit der Masse waren“. Aus Stuttgart wird am 27. September gemeldet: „Gottlieb Rau von Gaildorf hat die Maske abgeworfen […] möchten alle seine Freunde seinem Beispiele folgen und sich frei erklären […] dann wüsste man auch wie viele es sind, welche den Umsturz alles Bestehenden verlangen, und wie groß dagegen die Zahl derer ist, die an der gesetzlichen Ordnung festhalten“ (StAB Albbote, 30. September 1848).
Gottlieb Rau ist nicht, wie die anderen Initiatoren in die Schweiz geflohen, sondern stellte sich am 28. September 1848 selbst dem Oberamtsgericht in Oberndorf. Er konnte es mit seinem Ehrgefühl nicht vereinen, sich durch eine Flucht aus der Verantwortung zu ziehen.
Am 29. September um sechs Uhr morgens ist Gottlieb Rau auf den Hohenasperg eingesperrt worden.