INA SEIDEL – die einstige Pazifistin


Ina Seidel wurde am 15. September 1885 in Halle geboren. Die Familie siedelte kurz nach Ina Seidels Geburt nach Braunschweig über. Ihr Vater, der Arzt, Zoologe, Ethnologe und Archäologe war, nahm sich 1895 nach einer Verleumdungskampagne das Leben. Ihre Mutter, Emmy Seidel, zog mit den drei Kindern nach München. Die junge Ina Seidel verkehrte in Künstler- und Schriftstellerkreisen und heiratete 1907 ihren Cousin Heinrich Wolfgang Seidel. Aufgrund des Wunsches in naher Zukunft eine eigene Familie zu gründen, legte sie das Abitur nicht ab. Das Ehepaar zog noch im selben Jahr in den nördlichen Teil Berlins. Dort brachte sie 1908 ihre Tochter zur Welt und erkrankte nach der Geburt an Kinderbettfieber. Ina Seidel war seitdem stark gehbehindert, was sie hierzu motivierte, mit dem Schreiben anzufangen.

Ina Seidels literarische Arbeiten peilten historische und nationale Themen an, die unter dem Eindruck der politischen Debatten weiter akzentuiert worden sind. Die christliche Thematik, die sie um das Thema Weiblichkeit bzw. Mütterlichkeit ergänzt und die Erfahrungen des ersten Weltkriegs prägten Ina Seidels Gesamtwerke. Bevor der erste Weltkrieg ausbrach, begann die Schriftstellerin an dem Buch „Das Wunschkind“ zu schreiben. Der Roman wurde 1930 veröffentlicht und sorgte für ihren literarischen Durchbruch. Ihr Hauptwerk ist mit literarischen Ehrungen gekrönt worden. 1932 wurde Ina Seidel in die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen. Damit war sie die zweite Frau im Gremium. Die New York Times spekulierte, wann Ina Seidel für ihren Roman einen Nobelpreis erhalten werde.

Nach der Machtergreifung sah Ina Seidel ihre literarische Wirksamkeit durch einen möglichen Vorwurf des Pazifismus bedroht. So unterschrieb sie 1933 die von Gottfried Benn verfasste Treueerklärung der Preußischen Akademie der Künste. Zum Dank für diese Unterstützung wurde Ina Seidel 1933 zur Ehrensenatorin des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller ernannt. Zudem wurden ihr positive Buchbesprechungen seitens der NS-Literaturkritik zugesprochen, weswegen sie daher zu den meistgelesenen Autoren im Dritten Reich zählte. Ihr Erfolgsroman „Das Wunschkind“ wurde 1944 auch als Frontbuchausgabe veröffentlicht. Zudem schrieb sie Gedichte für die Münchner Feldpost und folgte den Einladungen der NS-Kulturgemeinde, um Vorträge abzuhalten. Ina Seidels Tochter heiratete 1933 den nationalsozialistischen Kulturfunktionär Ernst Schulte Strathaus, der im nahen Umfeld mit Hitler verkehrte. Ina Seidel habe immer beteuert, dass er sie maßgeblich zur Verherrlichung Hitlers beeinflusst habe. Ihre Verherrlichung habe sie später immer wieder zu revidieren versucht.

Hingegen bedrückten Ina Seidels Ehemann, Heinrich Wolfgang Seidel, als Pfarrer die innerkirchlichen Auseinandersetzungen, die das nationalsozialistische Gedankengut vorantrieb. Auch Ina Seidel lehnte die Einführung eines Arier-Paragraphen grundlegend ab. Wolfgang Seidel trat 1934 vorzeitig aus dem Kirchendienst aus. Das Ehepaar zog aus der politisch unruhigen Hauptstadt nach Starnberg um.Da Ina Seidel nie Mitglied jener Partei war, bestanden stets Bedenken vonseiten der NS-Partei an ihr. 1933 wurde sie in ihrem eigenen Haus von zwei NSDAP-Mitglieder aufgesucht, die inoffiziell ihre Gesinnung prüfen wollten. Auch lehnten nationalsozialistische Kulturfunktionäre es aus politischen Bedenken ab, der Schriftstellerin den Münchener Literaturpreis für ihren zweiten Erfolgsroman „Lennacker – das Buch einer Heimkehr“, das 1938 veröffentlicht wurde, zu verleihen. Zweifel an ihrer politischen Haltung innerhalb der NSDAP führten schließlich auch hierzu, dass die NSDAP den Wunsch der Universität Bonn abschlug, ihr den Doktortitel für ihre wissenschaftliche Leistung im Roman „Lennacker“ im Jahre 1942 zu verleihen.

Als 1945 der Krieg endete, führte Ina Seidel eine selbstkritische Entnazifizierung durch, die in der deutschen Literatur unter den im Dritten Reich geförderten Autoren einzigartig war. So setzte sie sich konsequent mit ihrem persönlichen Versagen im Dritten Reich auseinander und bekannte sich öffentlich zu ihren Fehlern und ihrer Mitschuld. Insbesondere von ihren Schriftstellerkollegen ist sie in der Nachkriegszeit heftig angegriffen worden. Die persönlichen Angriffe zermürbten sie zusehends. Daher schied Ina Seidel freiwillig aus der „Akademie der Schönen Künste“ in Berlin aus.

Ihre Entnazifizierungsakte stufte sie als unbelastet ein. Auch wurde ihr niemals ein Schreib- oder Redeverbot auferlegt und die amerikanische Militärregierung genehmigte die Neuauflagen ihrer Bücher. Bald darauf wurden ihre literarischen Werke wieder zugelassen und erlebten höhere Auflagen als in der Kriegszeit. Auch erfolgte parallel die literarische Rehabilitation.

1948 wurde sie in die „Akademie der Schönen Künste“ in München berufen und erhielt im selben Jahr den Raabe-Preis der Stadt Braunschweig verliehen. Im Jahr 1955 folgte die Wiederwahl in die „Akademie der Schönen Künste“ in Berlin. Zwei Jahre später erhielt sie den Bayerischen Verdienstorden und 1966 das Bundesverdienstkreuz.

Der 1959 veröffentliche Roman „Michaela“ ist als eine Art Lebensabrechnung zu deuten, worin sie das Fehlverhalten der Deutschen reflektiert. Ina Seidel versuchte darin auch ihr eigenes Fehlverhalten zu verarbeiten. Sie erkannte die Schuld, unpolitisch gewesen zu sein und sich mangels Wirklichkeitssinn und blindem Glaube an Ideale täuschen lassen zu haben.

© STADTARCHIV BALINGEN


Quellen:
Ina Seidel. Eine Literatin im Nationalsozialismus, hrsg. v. Stadt Braunschweig, Braunschweiger kulturwissenschaftliche Studien, Bd. 2, Berlin 2011.   
Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass Ina Seidel
DLA Marbach, Nachlass Gottfried Benn (Briefkorrespondenz zwischen Seidel und Benn)